Sie war der Inbegriff einer emanzipierten Frau, als es die Frauenbewegung noch gar nicht gab. Sie ist in Darmstadt geboren und gestorben, doch es hat lange gedauert, bis ihre Heimatstadt ihre Bedeutung entsprechend gewürdigt und zumindest mal eine Straße in Eberstadt nach ihr benannt hat.
Jetzt aber hat die TU Darmstadt - genauer gesagt die Leiterin des Kunstforums, Julia Reichelt - reagiert und eine Ausstellung auf die Beine gestellt, die eine außergewöhnlich mutige und begabte Frau präsentiert. Anhand ihrer Fotografien und Texte wird das abenteuerliche Leben der Journalistin. Fotografin, Übersetzerin und Reiseschriftstellerin Milli Bau unter dem Titel „5000 km bis Paris“ visualisiert und lässt ein staunendes Publikum zurück.
So auch bei der Aka-Veranstaltung, die sich allerdings erheblich von den üblichen Führungen unterschied. Unsere Referentin, Birgit Hiller, eine ehemalige Lehrerin, hatte Milli Bau nicht nur gekannt, sondern war ihr die letzten 25 Jahre lang - bis zu deren Tod - freundschaftlich verbunden, Und so erzählte sie quasi „aus dem Nähkästchen“ und fesselte ihr Publikum durch viele persönliche Details, die sie eloquent erzählte. Zwischendurch las sie einige Texte der Reisejournalistin vor, die zeigten, wie brillant sie formulieren konnte.
Kennengelernt hatten sich die beiden Frauen, als Milli Bau nach einem schweren Unfall im Krankenhaus lag. Man traf sich dann regelmäßig am Sonntag in deren Wohnung in der Ohlystraße. Oft war auch die Tochter unserer Referentin dabei, die die über 70jährige bald als „Lieblingsoma“ in ihr Herz schloss (und später ein Buch über sie schrieb). Schon früh wurde klar, dass das Kind Milli den Dingen auf den Grund gehen wollte. So war sie als Vierjährige eines Morgens ausgebüxt und zum Woog gelaufen. Aufgegriffen von einer Marktfrau, erklärte sie: „Ich wollte wissen, wo die Sonne aufgeht.“
Schon früh zeichnete sich die sprachliche Begabung des wissbegierigen Mädchens ab. Doch leider waren es die beiden Brüder, die aufs Gymnasium durften. Für sie war nur die Mittelschule vorgesehen. Mit 20 Jahren allerdings verließ sie den vorbestimmten Weg zur Hausfrau und lernte Italienisch an einer Sprachenschule in Bologna. Als dann allerdings zwei Jahre später ihre Mutter starb, wurde sie nach Hause zurückgerufen, um den Haushalt zu führen. Eine Ehe, wahrscheinlich arrangiert, mit einem Ingenieur folgte, sie ging mit ihm nach Hamburg, wurde offensichtlich nicht glücklich, hielt aber bis zum Schluss, durch, wohl auch, weil sie später ein Teilzeitmodell forderte: 4 Monate Hausfrau, 8 Monate Reisen - allein! Dies wurde umso wichtiger, als ihr kleiner Sohn 1939 nach wenigen Monaten starb und der Ehemann ihr dafür die Schuld gab. Diesen Schicksalsschlag hat wie wohl nie überwunden.
Über das Leben des Ehepaares während der NS-Zeit ist wenig bekannt. Nach dem Tod ihres Mannes 1953 ,aber begann ihr zweites Leben. Im Jahre 1945, nach dem Ende des 2. Weltkrieges, wurden unbelastete Mitarbeiter für Rundfunk und Zeitungen händeringend gesucht. Milli Bau landete im Kulturressort der „Welt“ und konnte nun endlich die Welt erforschen. Im Jahr 1948 brach sie mit Hans Ertl und fünf weiteren Teilnehmern zu einer Anden-Erkundung auf, eine rundherum abenteuerliche Reise. Es begann schon damit, dass in Genua sämtliches Ausrüstungsgepäck der Reisegruppe gestohlen wurde. Frühzeitiges Ende? Nicht mit Milli Bau. Resolut, wie sie war, holte sie alles zurück - wie und womit auch immer….
Und dann ging es weiter, immer weiter. Ein Highlight war die Erkundung der Seidenstraße, eine gefährliche Route, zumal für eine alleinstehende Frau, die in einem umgebauten VW-Bully unterwegs ist. Unerschrocken, wie sie war, setzte sie sich hinweg über Durchfahrverbote, vertraute auf ihre kürzlich erworbenen KFZ-Kenntnisse und schaffte es bis nach China. Sie überlebte Pannen in der Wüste, zahllose Unfälle, Nächte im Harem eines Scheichs und übte sich im Schauspielern: Ein zweiter Teller im Auto neben ihr sollte signalisieren, dass da noch ein Mann mitfuhr.
Sieben Jahre - von 1957 - 1964, lebte sie im Iran, und zwar in einem Gartenhaus von Schah Reza Pahlewi. Als „Korrespondentin“ diverser Zeitungen schrieb sie zahllose Kolumnen, und so mancher Insiderbericht der Regenbogenpresse in Sachen Soraya dürfte wohl auf ihre Informationen zurückgehen.
Mit 67 Jahren hatte sie einen heftigen Unfall, als sie bei einer Wüstentour eine Vollbremsung machen musste und auf ihr Foto-Equipment prallte. Zusammengeflickt wurde sie dann am Darmstädter Klinikum. Danach hielt sie zunächst auf Kreuzfahrtschiffen Vorträge und wurde, wie sie stolz mitteilte, als Kulturreferentin jeweils zu den Kapitäns-Dinners eingeladen, wofür sie sich dann auch mal tolle Abendkleider kaufte.
Im letzten Viertel ihres fast 100jährigen atemberaubenden Lebens widmete sie sich dem Aufbau von Kooperationen. Sie organisiserte eine Städtepartnerschaft mit Jakutsk, es folgten ein Studentenaustausch mit der damaligen TH Darmstadt und ein Schüleraustausch mit der Lichtenbergschule.
Sie starb 2006 in der Geriatrie des Alice-Hospitals.
Birgit Hiller, ihre vertraute Freundin, berichtet, dass auch Milli Bau Angst vor dem Tod hatte. Aber sie reiße keine Lücke auf, da sie keine Angehörigen habe, meine sie. Sie sei dankbar für ihr Leben, dessen Motto sie einmal so formuliert hatte:
Dann werde ich ein Zugvogel, ein Nirgendzuhause, ein Mensch, der unstet und flüchtig ist, auf der Erde.
Text: Heidrun Bleeck / 16.08.2024
Achtung: Wegen der vielen Anmeldungen, die auf der Warteliste gelandet sind, wiederholt Birgit Hiller die Veranstaltung. Eine Anmeldung ist diesmal nicht nötig. Der Eintritt ist frei.
Neuer Termin: Freitag, 30. August, 15.00 Uhr
Kunstforum der TU Darmstadt, Altes Hauptgebäude, Hochschulstr. 1, 2. Stock